Attachment Parenting – bedürfnisorientierte Erziehung mit den sieben B’s
Attachment Parenting wurde vom US-amerikanischen Kinderarzt William Sears und seiner Frau Martha Sears in den 1980er Jahren auf den Weg gebracht. Damit ein Kind eine enge Bindung zu seinen Eltern aufbauen kann und bis ins Schul- und Teenageralter emotional gestärkt wird, ist es laut den Sears wichtig, dass man seine Grundbedürfnisse besonders in den ersten Lebensmonaten zeitnah erfüllt.
Der Bindungsprozess ist das Herzstück von Attachment Parenting und entscheidend für die gesunde Entwicklung eines Kindes. Bindung beschreibt die emotionale Verbindung zwischen Eltern und Kind, die in den ersten Lebensmonaten und -jahren entsteht. Sie dient als sichere Basis, von der aus das Kind die Welt erkunden kann.
Wenn Eltern liebevoll und zuverlässig auf die Signale ihres Babys reagieren – sei es Weinen, Lächeln oder andere Ausdrucksformen – fühlt sich das Kind sicher und verstanden. Diese Sicherheit schafft Vertrauen in die Eltern und später auch in andere Menschen und in die Welt. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass eine sichere Bindung Kinder resilienter gegen Stress macht, ihre emotionale Intelligenz fördert und langfristig die Grundlage für gesunde soziale Beziehungen legt.
Ein wichtiger Aspekt des Bindungsprozesses ist der Hautkontakt. Beim Tragen oder Stillen schüttet der Körper von Eltern und Kind das Bindungshormon Oxytocin aus. Dieses Hormon fördert nicht nur die emotionale Verbundenheit, sondern beruhigt auch das Nervensystem des Kindes und reduziert Stress. Gleichzeitig hilft es den Eltern, auf die Bedürfnisse ihres Babys sensibel einzugehen und eine intuitive Elternschaft zu entwickeln.
Sears' sieben B's des Attachment Parenting dienen euch dabei zur Orientierung
- Bonding (Bindung):Der Aufbau einer engen emotionalen Bindung beginnt direkt nach der Geburt. Hautkontakt, das liebevolle Halten und der intensive Blickkontakt sind Schlüsselmomente, die eine tiefe Verbindung schaffen.
- Breastfeeding (Stillen):Das Stillen ist nicht nur eine optimale Ernährung für das Baby, sondern auch eine Gelegenheit, Zuwendung und Geborgenheit zu vermitteln.
- Babywearing (Tragen):Tragen bietet dem Baby Nähe und Geborgenheit, während Eltern die Hände frei haben. Gleichzeitig können sie die Signale ihres Kindes besser wahrnehmen und darauf reagieren.
- Bedding Close to Baby (Schlafen in der Nähe des Babys):Gemeinsames Schlafen im selben Raum oder Bett fördert die Bindung und erleichtert das Stillen in der Nacht.
- Belief in Baby’s Cry (Glauben an das Weinen des Babys):Babys weinen, um ihre Bedürfnisse auszudrücken. Eltern sollten darauf mit Verständnis und Zuwendung reagieren, anstatt das Weinen zu ignorieren.
- Beware of Baby Trainers (Achtung vor Erziehungsmethoden):Eltern sollten auf Methoden verzichten, die darauf abzielen, Babys in starren Zeitplänen oder Verhaltensmustern zu „trainieren“. Jedes Baby ist einzigartig und sollte entsprechend individuell begleitet werden.
- Balance (Balance im Familienleben):Auch die Bedürfnisse der Eltern sind wichtig. Eine gesunde Balance zwischen den Anforderungen des Elternseins und der Selbstfürsorge trägt dazu bei, eine harmonische Familie zu führen.
Das ist Attachment Parenting
Attachment Parenting ist eine Erziehungshilfe, die dazu dient, den körperlichen und seelischen Grundbedürfnissen eures Babys so oft es geht nachzukommen und ihm so die Sicherheit, Liebe und Akzeptanz zu geben, die es benötigt. Als Eltern habt ihr ein ganz natürliches Bedürfnis, euer Baby zu beschützen und zu umsorgen und natürlich auch eigene Bedürfnisse. Verwöhnen könnt ihr Babys nicht.
Die Bedeutung des Attachment Parenting für die kindliche Entwicklung
Attachment Parenting, auch bekannt als bindungsorientierte Elternschaft, spielt eine zentrale Rolle für die emotionale, soziale und kognitive Entwicklung eines Kindes. Die Grundlage dieses Ansatzes ist die Förderung einer sicheren Eltern-Kind-Bindung, die als entscheidend für das Wohlbefinden und die Resilienz eines Kindes gilt.
Kinder, die eine enge und vertrauensvolle Beziehung zu ihren Eltern erleben, profitieren nachweislich in vielerlei Hinsicht. Eine sichere Bindung stärkt das Selbstwertgefühl und die Fähigkeit, emotionale Herausforderungen zu bewältigen. Studien zeigen, dass Kinder mit einer stabilen Bindung weniger stressanfällig sind und leichter soziale Beziehungen aufbauen können. Sie entwickeln eine natürliche Neugier und Freude am Lernen, da sie sich in ihrer Umgebung sicher und unterstützt fühlen.
Ein zentrales Element des Attachment Parenting ist die Sensibilität der Eltern gegenüber den Bedürfnissen ihres Kindes. Durch zeitnahe und liebevolle Reaktionen auf Signale wie Weinen oder Unruhe wird dem Kind vermittelt: „Ich bin für dich da.“ Dieses Gefühl von Verlässlichkeit und Fürsorge ist die Basis für das Vertrauen, das Kinder in andere Menschen und letztlich in sich selbst entwickeln.
Auch langfristig zeigt sich der positive Einfluss von Attachment Parenting. Erwachsene, die als Kinder eine enge Bindung zu ihren Bezugspersonen hatten, weisen oft eine höhere emotionale Intelligenz auf, sind konfliktfähiger und haben ein stabiles Selbstwertgefühl. Sie sind zudem in der Lage, gesunde Beziehungen zu führen, da sie von klein auf gelernt haben, dass Bedürfnisse und Gefühle beachtet und respektiert werden.
Die Prinzipien des Attachment Parenting, wie das Tragen des Babys, das gemeinsame Schlafen und das Stillen nach Bedarf, fördern nicht nur die Bindung, sondern unterstützen auch die körperliche Gesundheit des Kindes. Hautkontakt und Nähe beruhigen das Nervensystem, fördern die Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin und tragen so zu einer harmonischen Entwicklung bei.
Eltern, die auf eine bindungsorientierte Erziehung setzen, schaffen damit die Grundlage für eine lebenslange, vertrauensvolle Beziehung zu ihren Kindern. Gleichzeitig geben sie ihrem Kind die Werkzeuge mit, um in einer komplexen Welt selbstbewusst und empathisch zu agieren. Dieses Bewusstsein macht Attachment Parenting nicht nur zu einem Erziehungsansatz, sondern zu einem Weg, Kinder in ihrer Einzigartigkeit und ihrem Potenzial zu stärken.
Die wichtigsten körperlichen Grundbedürfnisse
- Luft zum Atmen
- Körperliche Unversehrtheit/Schmerzfreiheit
- Berührung/Nähe
- Schlaf
- Bei Babys: Saugbedürfnis
Die wichtigsten seelischen Grundbedürfnisse
- Liebe/Fürsorge
- Anerkennung/Angenommensein
- Nähe/Bindung
- Autonomie/Selbstwirksamkeit
- Halt/Begrenzung
- Geborgenheit/emotionale Sicherheit
Verständlich also, wieso ein Baby beispielsweise oft gestillt werden möchte. Zum einen ist Muttermilch gesünder als Milchersatznahrung – das interessiert euer Baby aber herzlich wenig. Der Grund dafür, dass es das Stillen so sehr genießt, ist, dass dabei mehrere Grundbedürfnisse buchstäblich auf einmal gestillt werden: Nahrung, Berührung, Nähe und Geborgenheit.
Bedürfnisorientierte Erziehung können auch Väter
Sears' sieben B's richten sich vornehmlich an Mütter und weniger an die Väter, wodurch er als Verfechter einer veralteten und antifeministischen Rollenverteilung gilt. Wichtig ist daher, dass ihr Väter bedürfnisorientierte Beziehung genauso wie Mütter anwenden und so auf die Eltern-Kind-Bindung positiv einwirken und eure Kinder emotional stärken könnt. Zwar könnt ihr euer Kind nicht stillen, allerdings könnt ihr mit dem Fläschchen (zu-)füttern, es nach dem Stillen an eurer Brust sein Bäuerchen machen lassen, es baden, mit ihm kuscheln, es trösten und somit einen fast genauso großen erzieherischen Anteil tragen wie (stillende) Mütter.
Schwangerschaft und Geburt
Das ist Attachment Parenting nicht
Bedürfnisorientierte Erziehung ist eine Herausforderung. Gerade im ersten Lebensjahr werdet ihr häufiger die Bedürfnisse eures Babys vor eure eigenen stellen. Wichtig ist aber, dass ihr Attachment Parenting nicht als starres Erziehungskonstrukt, Checkliste oder gar als Ideologie versteht, der ihr unentwegt nachkommen müsst und euch selbst aufgebt. Zwar sollt ihr stets bemüht sein, den Grundbedürfnissen eures Kindes nachzukommen, es bedeutet aber nicht, dass ihr die jeweiligen Strategien oder Vorgehensweisen, um die Bedürfnisse zu erfüllen, nicht ändern beziehungsweise anpassen oder variieren könnt. Und es bedeutet auch nicht, dass ihr eurem Baby sofort schadet, wenn ihr seinen Bedürfnissen mal nicht oder erst später nachkommt.
Ein paar Beispiele:
Ihr hattet einen Kaiserschnitt? Auch dann könnt ihr immer noch eine innige Bindung zu eurem Kind aufbauen. Ihr könnt oder wollt euer Baby nicht (mehr) stillen? Dann findet ihr andere Strategien, um seine Grundbedürfnisse trotzdem zu erfüllen. Ein weinendes Baby nimmt auch nicht gleich Schaden, nur weil ihr gerade unter der Dusche steht und sein Weinen kurz überhört. Habt ihr ein Schrei- oder High Need Baby, ist es kaum möglich, immer gleich zur Stelle zu sein, um es zu beruhigen.
High Need Babys: Wenn Babys nie zufrieden sind
High Need Babys haben, wie es der Name schon sagt, überdurchschnittlich hohe Bedürfnisse, was Eltern schnell an den Rand der Erschöpfung bringen und für extreme Selbstzweifel sorgen kann. Denn die besonders hohen Bedürfnisse eines Babys rund um die Uhr zu erfüllen, ist schier unmöglich.
Bauchgefühl und Grenzen
Vertraut auf euer Bauchgefühl, wenn es darum geht, zu erspüren, welche Bedürfnisse euer Kind gerade hat und abzuwägen, welche gerade im Fokus stehen. Mit der Zeit entwickelt ihr auch Strategien, um die Bedürfnisse eures Kindes und eure auch mal gleichzeitig zu erfüllen. Natürlich benötigt ihr dennoch Auszeiten, um euch um eure Bedürfnisse zu kümmern. Viele Babys, die gestillt werden, werden auch am liebsten von der Mama getragen und getröstet. Es ist wichtig und total in Ordnung, dass diese Aufgaben auch von Vätern oder Partner*innen übernommen werden.
Je älter euer Kind, desto wichtiger ist es auch, dass ihr klare Grenzen und Regeln kommuniziert. Damit erübrigt sich auch die Sorge oder der Vorwurf anderer Eltern, die AP nicht befürworten, dass ihr eure Kinder zu „kleinen Tyrannen“ erzieht, die immer alle Wünsche erfüllt bekommen. Denn neben Regeln und Grenzen, die euren Kindern Halt und Sicherheit geben, könnt ihr euch immer wieder die Frage stellen, welches Grundbedürfnis euer Kind wohl gerade erfüllt haben möchte. Ständiges Fernsehen, laufend neues Spielzeug haben zu wollen oder erst zufrieden zu sein, wenn die Eltern nachgegeben haben, sind dagegen häufig „nur“ Strategien, um die eigentlichen Bedürfnisse erfüllt zu bekommen.
Dazu empfehlen wir euch auch noch mal diesen Ratgeberbeitrag „Was Kinder wirklich brauchen“ der Journalistin Nora Imlau, die ebenfalls eine Befürworterin der bedürfnisorientierten Erziehung ist. Sie beruft sich bei der Unterscheidung zwischen Bedürfnissen und Strategien auf den Kommunikationspsychologen Marshall Rosenberg, den “Erfinder” der gewaltfreien Kommunikation (Giraffensprache).
Giraffensprache: So lernen Kinder gewaltfreie Kommunikation
Egal wie wütend oder gestresst ihr seid – (verbale) Gewalt gegen Kinder oder Bannboschaften und Liebesentzug sind nicht die richtigen Maßnahmen, um eure Kinder zu respektvollen, empathischen und selbstbewussten Menschen zu erziehen. Mit gewaltfreier Kommunikation (Giraffensprache) könnt ihr dagegen viel erreichen.
Attachment Parenting gibt euch keine Garantie, dass die Beziehung zu eurem Kind immer gut und euer Nachwuchs immer glücklich ist. Wurzeln gebt ihr euren Kindern trotzdem und diese bilden das Fundament, um zum Beispiel gemeinsam Konflikte zu lösen und Unsicherheiten oder Ängste zu besiegen. :)