Attachment Parenting – bedürfnisorientierte Erziehung mit den sieben B’s
Attachment Parenting wurde vom US-amerikanischen Kinderarzt William Sears und seiner Frau Martha Sears in den 1980er Jahren auf den Weg gebracht. Damit ein Kind eine enge Bindung zu seinen Eltern aufbauen kann und bis ins Schul- und Teenageralter emotional gestärkt wird, ist es laut den Sears wichtig, dass man seine Grundbedürfnisse besonders in den ersten Lebensmonaten zeitnah erfüllt.
Sears' sieben B's des Attachment Parenting dienen euch dabei zur Orientierung
- Birth Bonding - Bindung bei der Geburt
- Breastfeeding - Stillen
- Babywearing - Tragen
- Bedsharing/Co-sleeping - Familienbett
- Believe in Baby’s cries - Signalwirkung des Weinens/Weinen des Babys ernst nehmen
- Beware of Babytrainers - Achtung vor externen Ratschlägen und strikten Programmen wie kompromissloses Schlaftraining oder Eltern, die Attachment Parenting so interpretieren, als würde es ausschließlich um die Bedürfnisse des Kindes gehen
- Balance and Boundaries - Balance der Familienbedürfnisse und Wahrung eigener Grenzen
Das ist Attachment Parenting
Attachment Parenting ist eine Erziehungshilfe, die dazu dient, den körperlichen und seelischen Grundbedürfnissen eures Babys so oft es geht nachzukommen und ihm so die Sicherheit, Liebe und Akzeptanz zu geben, die es benötigt. Als Eltern habt ihr ein ganz natürliches Bedürfnis, euer Baby zu beschützen und zu umsorgen und natürlich auch eigene Bedürfnisse. Verwöhnen könnt ihr Babys nicht.
Die wichtigsten körperlichen Grundbedürfnisse
- Luft zum Atmen
- Körperliche Unversehrtheit/Schmerzfreiheit
- Berührung/Nähe
- Schlaf
- Bei Babys: Saugbedürfnis
Die wichtigsten seelischen Grundbedürfnisse
- Liebe/Fürsorge
- Anerkennung/Angenommensein
- Nähe/Bindung
- Autonomie/Selbstwirksamkeit
- Halt/Begrenzung
- Geborgenheit/emotionale Sicherheit
Verständlich also, wieso ein Baby beispielsweise oft gestillt werden möchte. Zum einen ist Muttermilch gesünder als Milchersatznahrung – das interessiert euer Baby aber herzlich wenig. Der Grund dafür, dass es das Stillen so sehr genießt, ist, dass dabei mehrere Grundbedürfnisse buchstäblich auf einmal gestillt werden: Nahrung, Berührung, Nähe und Geborgenheit.
Bedürfnisorientierte Erziehung können auch Väter
Sears' sieben B's richten sich vornehmlich an Mütter und weniger an die Väter, wodurch er als Verfechter einer veralteten und antifeministischen Rollenverteilung gilt. Wichtig ist daher, dass ihr Väter bedürfnisorientierte Beziehung genauso wie Mütter anwenden und so auf die Eltern-Kind-Bindung positiv einwirken und eure Kinder emotional stärken könnt. Zwar könnt ihr euer Kind nicht stillen, allerdings könnt ihr mit dem Fläschchen (zu-)füttern, es nach dem Stillen an eurer Brust sein Bäuerchen machen lassen, es baden, mit ihm kuscheln, es trösten und somit einen fast genauso großen erzieherischen Anteil tragen wie (stillende) Mütter.
Schwangerschaft und Geburt
Das ist Attachment Parenting nicht
Bedürfnisorientierte Erziehung ist eine Herausforderung. Gerade im ersten Lebensjahr werdet ihr häufiger die Bedürfnisse eures Babys vor eure eigenen stellen. Wichtig ist aber, dass ihr Attachment Parenting nicht als starres Erziehungskonstrukt, Checkliste oder gar als Ideologie versteht, der ihr unentwegt nachkommen müsst und euch selbst aufgebt. Zwar sollt ihr stets bemüht sein, den Grundbedürfnissen eures Kindes nachzukommen, es bedeutet aber nicht, dass ihr die jeweiligen Strategien oder Vorgehensweisen, um die Bedürfnisse zu erfüllen, nicht ändern beziehungsweise anpassen oder variieren könnt. Und es bedeutet auch nicht, dass ihr eurem Baby sofort schadet, wenn ihr seinen Bedürfnissen mal nicht oder erst später nachkommt.
Ein paar Beispiele:
Ihr hattet einen Kaiserschnitt? Auch dann könnt ihr immer noch eine innige Bindung zu eurem Kind aufbauen. Ihr könnt oder wollt euer Baby nicht (mehr) stillen? Dann findet ihr andere Strategien, um seine Grundbedürfnisse trotzdem zu erfüllen. Ein weinendes Baby nimmt auch nicht gleich Schaden, nur weil ihr gerade unter der Dusche steht und sein Weinen kurz überhört. Habt ihr ein Schrei- oder High Need Baby, ist es kaum möglich, immer gleich zur Stelle zu sein, um es zu beruhigen.
High Need Babys: Wenn Babys nie zufrieden sind
High Need Babys haben, wie es der Name schon sagt, überdurchschnittlich hohe Bedürfnisse, was Eltern schnell an den Rand der Erschöpfung bringen und für extreme Selbstzweifel sorgen kann. Denn die besonders hohen Bedürfnisse eines Babys rund um die Uhr zu erfüllen, ist schier unmöglich.
Bauchgefühl und Grenzen
Vertraut auf euer Bauchgefühl, wenn es darum geht, zu erspüren, welche Bedürfnisse euer Kind gerade hat und abzuwägen, welche gerade im Fokus stehen. Mit der Zeit entwickelt ihr auch Strategien, um die Bedürfnisse eures Kindes und eure auch mal gleichzeitig zu erfüllen. Natürlich benötigt ihr dennoch Auszeiten, um euch um eure Bedürfnisse zu kümmern. Viele Babys, die gestillt werden, werden auch am liebsten von der Mama getragen und getröstet. Es ist wichtig und total in Ordnung, dass diese Aufgaben auch von Vätern oder Partner*innen übernommen werden.
Je älter euer Kind, desto wichtiger ist es auch, dass ihr klare Grenzen und Regeln kommuniziert. Damit erübrigt sich auch die Sorge oder der Vorwurf anderer Eltern, die AP nicht befürworten, dass ihr eure Kinder zu „kleinen Tyrannen“ erzieht, die immer alle Wünsche erfüllt bekommen. Denn neben Regeln und Grenzen, die euren Kindern Halt und Sicherheit geben, könnt ihr euch immer wieder die Frage stellen, welches Grundbedürfnis euer Kind wohl gerade erfüllt haben möchte. Ständiges Fernsehen, laufend neues Spielzeug haben zu wollen oder erst zufrieden zu sein, wenn die Eltern nachgegeben haben, sind dagegen häufig „nur“ Strategien, um die eigentlichen Bedürfnisse erfüllt zu bekommen.
Dazu empfehlen wir euch auch noch mal diesen Ratgeberbeitrag „Was Kinder wirklich brauchen“ der Journalistin Nora Imlau, die ebenfalls eine Befürworterin der bedürfnisorientierten Erziehung ist. Sie beruft sich bei der Unterscheidung zwischen Bedürfnissen und Strategien auf den Kommunikationspsychologen Marshall Rosenberg, den “Erfinder” der gewaltfreien Kommunikation (Giraffensprache).
Giraffensprache: So lernen Kinder gewaltfreie Kommunikation
Egal wie wütend oder gestresst ihr seid – (verbale) Gewalt gegen Kinder oder Bannboschaften und Liebesentzug sind nicht die richtigen Maßnahmen, um eure Kinder zu respektvollen, empathischen und selbstbewussten Menschen zu erziehen. Mit gewaltfreier Kommunikation (Giraffensprache) könnt ihr dagegen viel erreichen.
Attachment Parenting gibt euch keine Garantie, dass die Beziehung zu eurem Kind immer gut und euer Nachwuchs immer glücklich ist. Wurzeln gebt ihr euren Kindern trotzdem und diese bilden das Fundament, um zum Beispiel gemeinsam Konflikte zu lösen und Unsicherheiten oder Ängste zu besiegen. :)