Krank während Freistellungsphase: Freistellung nachholbar

In Tarifverträgen ist häufig die Möglichkeit vorgesehen, dass sich Mitarbeiter in bestimmten Fällen unter Fortzahlung des Gehalts von der Arbeit freistellen lassen können. Doch wie ist die Rechtslage, wenn jemand während der Freistellung krank wird? Sind die betroffenen Freistellungstage dann "verbraucht" oder dürfen sie nachgeholt werden?

Ein tariflicher Anspruch auf bezahlte arbeitsfreie Tage wird nicht erfüllt, wenn der Arbeitnehmer am Freistellungstag arbeitsunfähig erkrankt ist. Das hat das Bundesarbeitsgericht in einem neuen Urteil entschieden (BAG, Urteil vom 23.2.2022 – 10 AZR 99/21). Der Freistellungstag darf in einem solchen Fall nachgeholt werden. Das BAG hat damit – wie bereits die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Hamm – zugunsten des Arbeitnehmers entschieden (Urteil vom 25.11.2020 – 6 Sa 695/20).

Es ging um folgenden Sachverhalt: Der Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 8. November 2018 (MTV) eröffnet bestimmten Arbeitnehmergruppen die Möglichkeit, anstelle eines tariflich gewährten Zusatzgelds bezahlte arbeitsfreie Tage zu erhalten. Der spätere Kläger hatte für das Jahr 2019 den Anspruch auf Freistellungstage gewählt. An zwei der festgelegten freien Tage war er jedoch arbeitsunfähig.

Der Arbeitnehmer vertrat die Ansicht, dass ihm für 2019 noch eine bezahlte Freistellung im Umfang von zwei Arbeitstagen zustehe. Aufgrund der Krankheit habe er die freie Zeit an diesen Tagen nicht nutzen können, argumentierte der Mitarbeiter sinngemäß. Sein Arbeitgeber lehnte eine Nachgewährung der beiden Freistellungstage ab. Er war der Meinung, der Anspruch sei bereits dadurch erfüllt, dass er die freien Tage festgelegt und den Beschäftigten von der Arbeitspflicht entbunden habe.

Das BAG entschied: Die Auslegung des MTV ergebe, dass der Anspruch auf Freistellung an Tagen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllt werden kann. Er bestehe als "originärer Erfüllungsanspruch" fort. Der Freistellungsanspruch ist nach BAG-Ansicht grundsätzlich nicht auf das Kalenderjahr befristet. Wie aus dem Urteil weiter hervorgeht, verfällt der Freistellungsanspruch nur dann, wenn die Gewährung von Freistellungstagen aus personenbedingten Gründen, zum Beispiel wegen einer langandauernden Erkrankung, im gesamten (restlichen) Kalenderjahr nicht möglich ist. Dann aber würde im vorliegenden Fall der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld im Umfang der nicht realisierten Freistellungstage wieder aufleben.